Zunächst einmal der neue Gesetzestext
§ 63 StGB – Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Fassung aufgrund des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 08.07.2016 (BGBl. I S. 1610), in Kraft getreten am 01.08.2016
Reform der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB
Mehr Verhältnismäßigkeit bei der Unterbringung psychisch kranker Straftäter.
Mit dem am 1.8.2016 in Kraft getretenen „Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften“ soll dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Unterbringungen stärker zur Wirkung verholfen werden.
In den letzten Jahren war ein kontinuierlicher Anstieg der Zahl der nach § 63 StGB untergebrachten Personen und vor allem der Dauer ihrer Unterbringung zu verzeichnen, ohne dass es Belege für einen parallelen Anstieg der Gefährlichkeit der Untergebrachten gab. Um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besser gerecht zu werden, hat das BMJV zunächst eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet und anschließend anhand der Vorschläge der Arbeitsgruppe einen Gesetzentwurf erarbeitet. Der Deutsche Bundestag hat den entsprechenden Regierungsentwurf ohne Änderungen beschlossen.
Konkret sieht das Gesetz insbesondere folgende Änderungen vor
1. Konkretisierung der Anordnungsvoraussetzungen nach § 63 StGB, insbesondere:
- Anhebung der Voraussetzungen, soweit Taten drohen, durch die nur wirtschaftlicher Schaden entsteht.
- Konkretisierung der Voraussetzungen, soweit Taten drohen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich geschädigt oder gefährdet werden.
- Normierung der Anforderungen, wenn ausnahmsweise aus nicht erheblichen Anlasstaten auf die Gefahr erheblicher Taten geschlossen wird.
2. Konkretisierung der Anforderungen an die Fortdauer der Unterbringung über sechs und zehn Jahre hinaus nach § 67d Absatz 6 StGB,insbesondere:
- Fortdauer über sechs Jahre grundsätzlich nur noch, wenn Taten drohen, durch die die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung gebracht werden; insbesondere die Gefahr rein wirtschaftlicher Schäden reicht für eine Fortdauer in der Regel nicht mehr.
- Fortdauer über zehn Jahre nur noch – wie bei der Sicherungsverwahrung – bei der Gefahr von Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
3. Ausbau der prozessualen Sicherungen zur Vermeidung unverhältnismäßig langer Unterbringungen in § 463 Absatz 4 und 6 StPO:
- Konkretisierung der Anforderungen an die jährlichen gutachterlichen Stellungnahmen der Klinik.
- Erhöhung der Frequenz für externe Gutachten von fünf auf drei Jahre und für Unterbringungen ab sechs Jahren auf zwei Jahre.
- Pflicht zum Wechsel der externen Gutachter: Gutachter soll grundsätzlich nicht das letzte vorangegangene externe Gutachten im Erkenntnis- oder Vollstreckungsverfahren erstellt haben.
- Klarstellung, dass mit der Begutachtung nur solche ärztlichen oder psychologischen Sachverständigen beauftragt werden sollen, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen.
- Zwingende mündliche Anhörung des Untergebrachten vor jeder Entscheidung, in der es um die Fortdauer bzw. Beendigung der Unterbringung geht, also auch bei der Entscheidung über die Erledigung der Unterbringung.
4. Weitere Regelung im Recht der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung:
In Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist in Härtefallen die Zeit des Vollzugs der Maßregel auch auf eine „verfahrensfremde“, also in einem anderen Verfahren angeordnete Freiheitsstrafe möglich.
Für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ist klargestellt, dass sie in Fällen, in denen sich die Unterbringungszeit wegen der gleichzeitigen Verhängung einer Freiheitsstrafe verlängert, eine Unterbringung auch dann erfolgen kann, wenn die Behandlung des Untergebrachten voraussichtlich mehr als zwei Jahre dauern wird.
Was das Gesetz jetzt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit jetzt bringt ist insoweit nicht nur konsequent, sondern trifft auch aus meiner Sicht den Nagel auf den Kopf:
Im § 63 StGB ist die Anknüpfungstat, die Anlass für die langjährige Unterbringung sein muss, weiter dahingehend verschärft worden, dass nur solche Taten in betracht kommen „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird,“.
Bisher genügte die Prognose weiterer erheblicher rechtswidriger Taten, das genügte offenkundig nicht mehr, um der Schwemme an Unterbringungen zu begegnen. Allerdings wird dem Gericht ein Prognosespielraum eingeräumt dahingehend, dass bei besonderen Umständen und der prognostischen Erwartung solcher Taten gleichwohl die Unterbringung in Betracht kommt.
Des Weiteren ist im geänderten § 67d StGB die Anrechnung erlittener Haft ausdrücklich vorgesehen. Weiterhin ist hier ausdrücklich vorgesehen, dass ab 6 Jahren eine Vermutung für die mangelnde Verhältnismäßigkeit der Unterbringung spricht!
Abschliessend wird im § 463 StPO die Begutachtung bei der prognostischen psychiatrischen Untersuchung empfindlich verändert. Zum einen ist als gutachterliche Stellungnahme immer eine solche der Unterbringungsanstalt einzuholen; zum anderen ist ausdrücklich (endlich) geregelt, dass der bisherige Sachverständige, der etwa vor Gericht tätig war, hier nicht mehr tätig werden darf.
Fazit: Guter und wichtiger Vorstoss!
Das Gesetz konkretisiert den bisherigen „Graubereich“ und gibt der zuständigen Strafvollsteckungskammer Handlungsanweisungen bei einem unbeliebten Thema und setzt zumindest im Kern wesentliche neue Erkenntnisse um. Es ist wichtig und entspricht der Rechtsprechung des BVerfG die Unterbringung auf erhebliche und hervorgehobene Fälle zu beschränken. Die Änderungen im Bereich der Begutachtung können angesichts der neuerlichen Entwicklungen, etwa im Fall Mollath, nur als erster und zwingender Schritt einer Gesamtentwicklung gesehen werden.